Montag, 3. August 2009

Eugen Schmalenbach, der Gründer der "Kölner Schule", I.


Der Forscher


Über einundachtzig Jahre hat die Moira Lachesis Eugen Schmalenbach, emeritierter ordentlicher Professor der Betriebswirtschaftslehre und Dr. rer. pol., Dr. jur. h.c., Dr. oec. h.c., Dr. rer. nat. h.c., Dr.-Ing. e.h., Dr.-Ing. e.h., Dr. oec. sci. h.c., den Lebensfaden zugeteilt. Genau eineinhalb Jahre vor seinem Heimgang konnte Schmalenbach sein achtzigstes Wiegenfest feiern. Im Jahre 1953 wurde dem Hochbetagten ferner die seltene Gnade zuteil, das goldene Jubiläum seiner Zugehörigkeit zum Lehrkörper der Alma Mater Coloniensis zu erleben. Damals wurde, wie das bei einem Gelehrten von internationalem Ruf üblich ist, wenn er die Schwelle zu seinem neunten Lebensdezennium überschreitet und zudem auf eine fünfzigjährige akademische Lehrtätigkeit zurückblicken kann, in der Fachliteratur des In- und Auslandes die Leistung Eugen Schmalenbachs gewürdigt. In der Zeitschrift für Betriebswirtschaft nahm Walter le Coutre die Erreichung des hohen biblischen Alters und das fünfzigjährige Dozentenjubiläum Eugen Schmalenbachs zum Anlaß, die Lebensarbeit dieses Baumeisters am Lehrgebäude der Betriebswirtschaft in einer größeren Abhandlung unter dem Titel „Dynamiker Schmalenbach“ (23. Jahrgang 1953, Seiten 458 bis 464) zu werten. Überdies verband bereits 20 Jahre zuvor in dieser Zeitschrift (10. Jahrgang 1933, Seiten 570 und 571) ihr Begründer Fritz Schmidt mit seinen Glückwünschen zu Schmalenbachs sechzigstem Geburtstag eine Skizze der Leistungen dieses Maestros aus der Gründergeneration der Betriebswirtschaftslehre. Die Anerkennung seiner Bedeutung für die Entwicklung dieser wirtschaftswissenschaftlichen Disziplin, seiner Persönlichkeit oder „des Phänomens Schmalenbach“, wie le Coutre den weitgespannten Arbeitskreis Schmalenbachs, sein unermüdliches vielseitiges Wirken und seine Erfolge in einem Wort zusammenzufassen versucht, durch diese beiden Gratulanten erheischt um so mehr Beachtung, als diese Kollegen Schmalenbachs sich keineswegs zu den Anhängern seiner „Kölner Schule“ zählen, vielmehr als wissenschaftliche Antipoden von ihr gelten.


Le Coutre leitet von der Dynamik im mechanischen Sinne als der Lehre von der Bewegung der Körper unter dem Einfluß der auf sie wirkenden Kräfte für Schmalenbach den Titel „Dynamiker der Betriebswirtschaftslehre“ ab. Dynamik kann auch im allgemeinen Sinne der Kraftentfaltung und starken Bewegtheit für die Charakterisierung des Wirkens Schmalenbachs verwendet werden. Jedenfalls personifiziert er in seiner wissenschaftlichen Pioniernatur eine glückliche Synthese von schöpferischer Ruhelosigkeit und klarer Schau der betriebsökonomischen Wirklichkeit. Die Unruhe zu neuen Erkenntnissen bewahrt ihn davor, bei seinen Forschungen begangene und somit bequeme Gedankengänge zu beschreiten; der scharfe Blick für die gegebene Entität lässt ihn sich nicht mit Abstraktion begnügen, sondern sie aus seiner reichen Erfahrung in eidetischer Weise durch betriebliche Beispiele konkretisieren und die Probe aufs Exempel machen.


Bereits während seines Studiums in Leipzig, wo er nachher Assistent des Nationalökonomen und Vertreters der Jüngeren Historischen Schule Karl Bücher war, legte Eugen Schmalenbach im Jahre 1899 mit einer in der Deutschen Metallindustrie – Zeitung veröffentlichten Studie den Grundstein zu seiner Grenzkostenlehre. Mit ihr nahm er den Kampf gegen die damals traditionelle Auffassung auf, daß alle Kosten proportional zur betrieblichen Beschäftigung verlaufen. Diese irrige Ansicht von einer derartigen Proportionalität sämtlicher Kosten ist heute noch vielfach anzutreffen und eine stillschweigende Voraussetzung beim Regel – de – tri – Verfahren im Elementarunterricht.


Ähnlich wie in seinen kostenwirtschaftlichen Untersuchungen trennte sich Eugen Schmalenbach in seinen kapitalwirtschaftlichen Forschungen von überlieferten Meinungen. So lehnte er beispielsweise bei der zu einem Kernstück seiner Publikationen über Finanzierungen ausgebauten Lehre der Bewertung von Unternehmungen die synthetische Methode irgendeiner von Kostenwerten ausgehenden Bilanz oder einer sonstigen Summation von Einzelwerten ab, stellte der Ganzheitsstruktur des Betriebes entsprechend für die Ermittlung seines Gesamtwertes das Prinzip der Bewertungseinheit auf und ging demzufolge von der Identifizierung des Ertragswertes, d.h. des Barwertes aller künftigen Betriebserfolge, mit dem Wert der Unternehmung aus.


In seiner „Dynamischen Bilanz“ wandte sich Eugen Schmalenbach von der vor ihm üblichen Erörterung bilanztechnischer Fragen sowie formaljuristischen statischen und dualistischen Bilanzauffassung ab und räumte der Erfolgsermittlungsbilanz den Primat ein.


Auch in seiner geradezu weltbekannten Kontenrahmenlehre gab Eugen Schmalenbach das vor ihm bei der Kontenorganisation befolgte dualistische oder teleologische Prinzip, d.h. das von der Idee des Jahresabschlusses beherrschte Bilanzprinzip, preis und ersetzte es durch das dem Prozeß der Leistungserstellung und dem betrieblichen Güterkreislauf angepasste genetische Prinzip, d.h. durch das Prozeß- oder Kreislaufprinzip.


Während des zweiten Weltkrieges und nach ihm befasste sich Eugen Schmalenbach mit der Betriebsorganisation. Hierbei beschäftigten ihn aber nicht so sehr die überlieferten Schablonen der formalen Organisation, als vielmehr die Frage, wie den arbeitenden Menschen als den Trägern des Betriebes möglichst viel Bewegungsfreiheit gewährt und diese doch mit optimaler Kooperation verbunden werden kann. Die Resultate dieser Analysen hat Schmalenbach in seinen Abhandlungen „Über Dienststellengliederung im Großbetriebe“ (als Manuskript 1941 gedruckt und unter Ausschluß des offiziellen Weges verteilt) sowie in den beiden Bänden seiner „Pretialen Wirtschaftslenkung“: „Die optimale Geltungszahl“ und „Pretiale Lenkung des Betriebes“ (Bremen – Horn 1947 und 1948) niedergelegt. Noch in einem weiteren Werke nach dem zweiten Weltkriege „Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis“ befasste er sich mit Preisen, d.h. mit dem freien Preismechanismus, und suchte von dem Erbe der freien Wirtschaft, wie sie einmal in ihrer besten Zeit war, mit neuen Methoden möglichst viel zu retten.


Die Enumeration von Beispielen für Schmalenbachs Reichtum an immer wieder neuen konstruktiven Ideen und Zerstörung weit verbreiteter und tief eingewurzelter Illusionen lässt sich fortsetzen, aber kaum erschöpfen; ist doch die Zahl seiner Publikationen Legion. Trotz der Vielseitigkeit seiner betriebswirtschaftlichen Interessen und Forschungen war er kein normativer Systematiker in dem Sinne, daß er ein geschlossenes System der Betriebswirtschaftslehre aus einer Normierung der für sie geltenden Werte, Zwecke und Ziele geschmiedet hätte. Einen derartigen Versuch der Entwicklung einer normativen Betriebswirtschaftslehre hielt Schmalenbach für verfrüht und verschrieb sich als eine dem bios practicos wie dem bios theoreticos zugetane Persönlichkeit dem Pragmatismus, indem er in seinen Analysen den ihm besonders liegenden Problemen oder dringendsten Fragen der Betriebe den Vorzug gab.


(Münstermann, Hrsg.: Geschichte und Kapitalwirtschaft, Beiträge zur Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, Wiesbaden 1963, S. 27-29)


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