Donnerstag, 4. Februar 2010

Börsenkapitalisierung als Wertkonzeption in der Unternehmensbewertung


Die Bewertungstheorie umschließt eine Vielfalt denkmöglicher Wertkonzeptionen. In empirischen Analysen von Mergers & Acquisitions - Aktivitäten wird dagegen meistens nur ein einziges Wertkonzept verwendet, nämlich das der Börsenkapitalisierung (Vgl. Thomson Reuters / J.P. Morgan: Deal making in high definiton, December 2009).

Die Börsenkapitalisierung eines Unternehmens ist das Produkt aus dem aktuellen Börsenkurs der Aktie und der Gesamtzahl seiner ausstehenden Aktien. 

Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint dieses Bewertungskonzept durchaus plausibel. Der Börsenkurs aggregiert die Erwartungen der Anleger bezüglich der von ihnen erwarteten finanziellen Rückflüsse aus den Aktien; er repräsentiert also das "Urteil des Marktes" über die Werthaltigkeit der finanziellen Rückflüsse. Für die Unternehmensbewertung ist dies ein attraktiver Wert: Es ist ja gerade der Barwert der finanziellen Rückflüsse, der den präsumtiven Erwerber eines Unternehmensanteils nach den Regeln und Annahmen der Investitionstheorie interessiert. Dabei stellt sich jedoch die Frage: Wie gut ist diese Durchschnittseinschätzung des Marktes?

In anderen Worten: Wie wahrscheinlich ist es, dass ein einzelner Marktteilnehmer, hier derjenige, der das Unternehmen zu bewerten hat, "es besser weiß" als der Markt und deshalb nicht die Börsenkapitalisierung als Maßgröße für den Unternehmenswert heranzieht?

Zu den zahlreichen Ineffizienzen der Kapitalmärkte zählt, dass Marktteilnehmer unterschiedliche Informationsstände haben. In der kapitalmarkttheoretischen Literatur wurden drei verschiedene Versionen der Informationseffizienzhypothese formuliert (FAMA: Efficient Capital Markets, A Review of Theory and Empirical Work, The Journal of Finance, Vol. 25, S. 383-417):


  • Informationseffizienz der schwachen Form: Alle Informationen über den bisherigen Wertpapierkursverlauf finden ihren Niederschlag im aktuellen Börsenkurs. Würde diese Hypothese zutreffen, so hieße dies, dass durch die so genannte "technische Analyse" von Kursverläufen keine Gewinne an der Börse erzielt werden können.

  • Informationseffizienz der halbstrengen Form: Alle bis zum Betrachtungszeitpunkt öffentlich zugänglichen Informationen finden ihren Ausdruck in der Höhe des Wertpapierkurses. Würde diese Hypothese zutreffen, so hieße dies, dass der Börsenkurs mindestens ebenso gut die Werthaltigkeit eines Börsenkurses schätzt, wie es ein rational handelnder Marktteilnehmer tun würde, der alle öffentlich zugänglichen Informationen verarbeitet.

  • Informationseffizienz der strengen Form: Alle wertrelevanten Informationen, über die einzelne Marktteilnehmer verfügen, seien sie nun öffentlich oder nicht öffentlich bekannt, spiegeln sich in der Höhe des Börsenkurses wider. Würde diese Hypothese zutreffen, so hieße dies, dass kein rational handelnder Marktteilnehmer an der Börse überdurchschnittliche Renditen erzielen kann, selbst wenn er alle relevanten Informationen, ob öffentlich oder nicht - öffentlich bekannt, verarbeiten würde.
 
Die strenge Version der Informationseffizienzhypothese stellt in ihrer Radikalität einen Grenzfall dar, der zur Beschreibung der Wirklichkeit kaum geeignet ist. Dieses Postulat kann insbesondere nicht erklären, wie es überhaupt zu einem Niederschlag dezentral vorhandener Informationen in Marktpreisen kommen kann.
 
Informationseffizienzhypothesen sind vielfach und mit unterschiedlichen Befunden empirisch getestet worden. Ohne deren Methoden zu problematisieren, kann man zusammenfassen, dass in der Mehrheit der Fälle die Informationseffizienzhypothese der halbstrengen Form nicht falsifiziert werden konnte. Die Qualität des Börsenkurses als Indikator für den Wert künftiger finanzieller Rückflüsse lässt sich also nicht einfach von der Hand weisen.
 
Trotzdem wird dem Börsenkurs nur eine eingeschränkte Brauchbarkeit für die Unternehmensbewertung zugestanden. Häufig werden folgende Einwände gegen die Validität von Börsenkursen gemacht:
  • Es werden immer häufiger "Spekulationsblasen" beobachtet, die mit der Hypothese individuell-rationalen Verhaltens nicht vereinbar sind.

  • Zufallsschwankungen und langfristige Verzerrungen des Aktienkurses sind umso wahrscheinlicher, je weniger liquide der Börsenmarkt ist, d.h. je niedriger das regelmäßig gehandelte Wertpapiervolumen ist.

  • Die einfache Formel: Unternehmenswert = Börsenkurs x Aktienanzahl setzt voraus, dass das Ganze genau gleich der Summe seiner Teile (Wertadditivitätstheorem) ist. Dies ist jedoch häufig nicht der Fall: Präsumtive Erwerber größerer Unternehmensanteile erhalten so genannte "Paketabschläge" vom aktuellen Börsenkurs und / oder sind bereit, einen Aufschlag dafür zu bezahlen, dass sie große Einflussmöglichkeiten auf die Strategie des Unternehmens erhalten.

  • Nur eine geringe Anzahl der Unternehmen ist börsennotiert.
 
Aufgrund dessen kann der Börsenwert nicht als Ersatz für eine gesonderte Unternehmensbewertung angesehen werden. Schließlich ist zu beachten, dass es keinen Markt zur Übertragung von Unternehmen als Ganzes ist, an der Börse kommt es in der Regel nur zu marginalen Anteilsübertragungen.




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