Donnerstag, 6. Mai 2010

Zweckbezogene Werttheorie nach Engels


Bei der Unternehmensbewertung ist nach Wolfram ENGELS der Wert keine dem bewerteten Unternehmen "innewohnende" Tatsache; vielmehr ist der Unternehmenswert abhängig von dem Zweck, den der Entscheidungsträger als präsumtiver Käufer mit dem Unternehmen verfolgt. ENGELS nennt die zweckabhängige Werttheorie eine "gerundive Werttheorie". In der gerundiven Werttheorie wird das Problem der Unternehmensbewertung individualisiert. Das bedeutet: Abhängig vom Zweck der Unternehmensbewertung misst in einer  genau  bestimmten Bewertungssituation das Bewertungssubjekt (Käufer oder Verkäufer) dem Unternehmen einen höchst individuellen Wert bei.

In seiner im Jahre 1962 publizierten Schrift "Betriebswirtschaftliche Bewertungslehre im Licht der Entscheidungstheorie" geht ENGELS ausführlich auf die gerundive Werttheorie ein:


Die gerundive Werttheorie


Die Fehler der objektiven und der subjektiven Werttheorie haben eine gemeinsame Quelle. Beide Theorien gingen implizit davon aus, daß Wert ein Sachverhalt, eine Tatsache sein müsse, daß daher auf ihn, wie auf jeden anderen Sachverhalt, die Kategorien wahr oder unwahr angewendet werden können. Diese Problemstellung mußte dazu führen, daß der Wert entweder als in der Sache liegend oder als dem Subjekt zugehörend aufgefaßt werden muß. So wurden beide Theorien unfruchtbar: Die objektive Werttheorie muß in der Metaphysik Zuflucht nehmen, die subjektive in der Psychologie; in der ersten wird die Frage nach dem richtigen Handeln unentscheidbar, in der zweiten wird sie sinnlos.


Beiden Theorien liegt eine Verwechslung der Kategorien zugrunde. Die Werttheorie befaßt sich nicht mit Wahrheit, sondern mit einer Entscheidung. Dem steht nicht entgegen, daß Sachverhalte (die also wahr oder unwahr sein können) in die Wertung eingehen. Betrachten wir den Kampf zwischen David und Goliath: Eine Tatsachenfrage ist es, ob ein Stein, mit einer gewissen Wucht geschleudert, einen Menschen zu töten imstande ist. Die Beantwortung dieser Tatsachenfrage erlaubt aber noch keine Entscheidung; diese kann erst gefällt werden, wenn das Ziel, in unserem Fall die Tötungsabsicht, hinzukommt. Es wird deutlich, daß die Frage nach der richtigen Entscheidung von der Frage nach der Wahrheit grundsätzlich verschieden ist. Wahrheit als die Übereinstimmung des Gemeinten mit einem Sachverhalt ist eine Eigenschaft von Aussagen; das Problem der Wahrheit also ein semantisches Problem. Die Richtigkeit einer Handlung jedoch ist das Maß der Erfüllung eines Zweckes, also keine Frage des Sagens, sondern des Tuns.


Die Unterscheidung zwischen Tatsachen und Zielen wird in den wertenden Wissenschaften durchaus schon lange durchgeführt; so ist Kants "Kritik der praktischen Vernunft" auf einer Trennung von Empirischem und Normativem aufgebaut. Allein, der Unterschied zur heutigen Entscheidungstheorie liegt darin, daß Kant und andere eine Entscheidung über ganz bestimmte Normen fällen - eine Entscheidung für die keine wissenschaftlichen Maßstäbe mehr bestehen können.


Wert im Sinne dieser Theorie ist also weder eine Eigenschaft, wie in der objektiven Werttheorie, noch eine Konvention, noch eine Angelegenheit des persönlichen Geschmacks, wie in der subjektiven Theorie. Wert ist ein Maßstab der Vorziehenswürdigkeit. Der Begriff der Vorziehenswürdigkeit bedarf einer zweifachen Interpretation. Zunächst sind die Urteile "gut" oder "böse", "richtig" oder "falsch" keine Absoluta. Sie sind immer auf einen vorgegebenen Zweck, eine Zielfunktion bezogen. Diese Zwecke sind Axiome in dem Sinne, daß sie nicht mehr weiter untersucht werden. Behauptet der A, daß ein bestimmter Gegenstand 1000 DM, der B, daß er 100 DM wert sei und gehen die Urteile von verschiedenen Motiven oder Zwecken aus, so gibt es keine wissenschaftliche Theorie oder Methode, die eine Entscheidung darüber ermöglichte, ob der A oder der B recht hat.


Weiter löst die gerundive Werttheorie den Wert vollkommen von irgendwelchen Personen. Zielfunktion und Erfolge bestimmen den Wert eines Gegenstandes oder einer Handlungsweise. Jeder, der über diese Angaben verfügt, kann den Wert kalkulieren. Insofern ist der Wert objektiv, d.h. intersubjektiv überprüfbar. Die gerundive Werttheorie läßt deshalb im Gegensatz zum Wertsubjektivismus eine Beurteilung von Handlungsweisen zu. 


1. Zwecke


Wertung ist teleologisch. Das Wort "Wert" in bezug auf einen Gegenstand oder eine Handlungsweise hat nur Sinn, wenn hinter der Aussage ein Zweck (eine Norm) steht; erst die Norm konstituiert ein Wertsystem. Da es verschiedenartige Zwecksetzungen gibt, kann jede Handlungsweise von jedem dieser Ziele aus beurteilt werden. Unter dem Ziel, Goliath zu töten, hatte das Schleudern des Steines einen positiven Wert, es war eine richtige Handlungsweise; unter dem Verbot des Tötens jedoch war es unrichtig, d.h. hatte einen negativen Wert. Jede Norm konstituiert also ein Wertsystem - die Frage der Ethik war, welches dieser Systeme das richtige sei, die Hauptfrage der Betriebswirtschaftslehre dagegen, welches der richtige Wert in einem gegebenen Wertsystem sei. Beide Fragestellungen kommen jedoch in beiden Wissenschaften vor, so daß es durchaus von Belang ist, ob irgendwelche gültigen Aussagen über die Beziehungen zwischen Wertsystemen gemacht werden können.


Betrachten wir zunächst rein logische Beziehungen zwischen Wertsystemen (das bedeutet, daß die Zwecke selbst nicht gewertet werden). In jedem System kommt verschiedenen Entscheidungen oder Handlungsweisen die Wertung "richtig", "falsch", "indifferent" zu. Danach können wir die Beziehungen zwischen Systemen einteilen:


1. Ableitbarkeit: Verhalten sich zwei Systeme so zueinander, daß sämtliche positiven und negativen Wertungen des einen im anderen entsprechend positiv oder negativ sind, so sprechen wir von dem ersten als einem von dem anderen abgeleiteten System. Sind die Systeme nicht identisch, so trifft das Obersystem zusätzlich positive oder negative Wertungen über Entscheidungen, die im Untersystem indifferent sind.


Wird das Obersystem akzeptiert, so werden gleichzeitig alle Untersysteme akzeptiert. Dagegen liegt in der Annahme eines Untersystems noch keine Anerkenntnis des Obersystems.


2. Unabhängigkeit: Trifft ein System positive oder negative Wertungen, die alle in einem zweiten indifferent sind und umgekehrt, so sind die Systeme voneinander unabhängig.


Die Annahme eines Systems sagt noch nichts aus über die Akzeptierung eines von ihm unabhängigen Systems.


3. Konkurrenz: Systeme, die für dieselbe Handlungsweise unterschiedliche positive oder negative Wertungen treffen (in der Weise, daß eine Entscheidung im einen System positiv, im anderen negativ gewertet wird), heißen konkurrierend. Konkurrierende Systeme schließen einander aus, d.h. sie können nicht gleichzeitig akzeptiert werden.


Treten zwei konkurrierende Systeme nebeneinander auf, so entsteht ein Konflikt, der dadurch gelöst wird, daß entweder eines der Systeme verworfen wird oder daß beide in einem dritten aufgelöst werden. Diese Auflösung zweier Systeme in einem dritten ist die wichtigste Methode zum Lösen von Zielkonflikten. Das allgemeinere System hat jedoch stets den Nachteil, daß es weit schwieriger zu handhaben ist, d.h., daß eindeutige Wertungen schwieriger zu erreichen sind. Für die praktische Bewertung ist es deshalb immer sinnvoll, ein möglichst spezielles Wertsystem zu wählen. Solche spezielleren Wertsysteme müssen entweder zum Obersystem in einem Ableitungsverhältnis stehen oder sie können partiell mit dem Obersystem konkurrieren, das letztere aber nur dann, wenn der Konkurrenzbereich genau abgegrenzt ist.


Das Bestreben der Ethik, das auch in die Betriebswirtschaftslehre Eingang gefunden hat, ging meist dahin, ganz bestimmte Wertesysteme auszuwählen, d.h. die Wertsysteme selbst zu werten. Eine solche Wertung kann aber nur von einem dritten, absolut gültigen System aus vorgenommen werden. Sie ist notwendigerweise a priori, ihre Richtigkeit mit wissenschaftlichen Methoden nicht erweisbar. Die gesamte betriebswirtschaftliche Bewertungslehre z.B. unterstellt das Gewinnmaximierungsprinzip als absolut gültig, obgleich explizit sehr häufig behauptet wird, daß andere Wertungen gültig seien. Die Wahl eines Wertsystems ist ein Akt der Willkür, sie kann nicht mehr begründet werden. Immerhin - dies wird noch ausführlicher zu zeigen sein - erlaubt die Analyse der logischen Zusammenhänge zwischen Wertsystemen eine große Zahl von Aussagen über die Wertsysteme selbst. Ist z.B. bekannt, daß die Wertsysteme A, B und C gelten sollen, so ist durch logische Methoden untersuchbar, ob alle drei gleichzeitig gelten können und welches auf dem einfachsten Wege zur richtigen Entscheidung im Sinne aller Systeme führt.


Sowohl in der Betriebswirtschaftslehre als auch in der Ethik findet man einen Sprachgebrauch, der die Zwecke selbst als Werte bezeichnet - man denke z.B. an Hartmanns "Hierarchie der Werte". Diese Terminologie scheint der unseren entgegengesetzt zu sein, ist doch hier "Wert" ein Maßstab für Zweckerfüllung. Gleichwohl werden wir an anderer Stelle ebenfalls Zwecke werten, mit dem Ziel, Konflikte zu lösen. 


...


2. Die empirische Wertkomponente


Die Handungsweise führt zu Erfolgen, die Erfolge sind Sachverhalte, die beobachtet, gezählt, gemessen oder in anderer Weise erfaßt werden können. Gewertet werden diese Erfolge; der Wert einer Aktion besteht in dem Wert der Erfolge, die durch sie ausgelöst werden und ihr daher zuzurechnen sind.


Aktion und Erfolg werden durch Konstante verknüpft, die im Entscheidungskalkül als Gesetze bezeichnet werden. Erst das Vorliegen von Gesetzen oder Gesetzmäßigkeiten läßt die Wertung einer Handlungsweise ex ante zu. Der Begriff des Gesetzes wird hier weit gefaßt - er umfaßt nicht nur die dem Ablauf des Naturgeschehens immanenten Konstanten, Naturgesetze, sondern auch das willkürlich Errichtete, Gesetze im Rechtssinne. Beide nehmen die gleiche Stellung im Wertkalkül ein. Schlägt A den B auf der Straße nieder, so bestimmt sich der Erfolg der Handlung nach der Wucht des Schlages, der Widerstandsfähigkeit des Kopfes usw., also nach Naturgesetzen; ein weiterer Teil des Erfolges wird durch das Wirksamwerden von Rechtssätzen herbeigeführt - A kommt ins Gefängnis. Der Rechtssatz nimmt also im Entscheidungskalkül des A dieselbe Stellung ein wie das Naturgesetz. Er ist für ihn empirischer Tatbestand zur Kalkulation des Erfolges, während derselbe Rechtssatz im Entscheidungskalkül des Richters als Norm auftritt.


Die schwierigsten Probleme des Wertkalküls ergeben sich, wenn Handlung und Erfolg nicht durch strenge Abhängigkeiten verbunden werden. Die Schwierigkeiten liegen weniger in der Komplizierung des mathematischen Apparates durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung als im Methodologischen. Unter dem Sammelbegriff "stochastische Abhängigkeiten" werden verschiedene Fälle erfaßt, die wir hier trennen möchten.


1. Aktion und Erfolg werden durch ein Naturgesetz stochastisch verknüpft. Bei häufiger Wiederholung derselben Aktion ergibt sich dann ein ganz bestimmter Erfolg für die Summe aller Handlungen, wobei jedoch der Erfolg jeder Einzelaktion kleiner oder größer als der Quotient aus dem Gesamterfolg und der Zahl der Aktionen sein kann. Was läßt sich nun über den Erfolg einer einzelnen Aktion aussagen? Es tritt häufig der Fall ein, daß nur eine einzelne Entscheidung gefällt werden soll oder kann, meist deshalb, weil der Erfolg dieser Handlung die Entscheidungsmöglichkeiten des Individuums so verändert, daß eine Wiederholung nicht möglich ist. Die herrschende Wahrscheinlichkeitstheorie sieht es als unsinnig an, diesem einzelnen Ereignis eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen; die große Zahl ist ein Axiom der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Ein einzelnes Ereignis kann entweder ausbleiben oder eintreten - darüber hinaus können keine Aussagen gemacht werden.


Es sei folgender Fall gegeben: Ein Gefangener soll auswürfeln, ob er getötet oder freigelassen wird. Er kann bestimmen, ob die Seiten 1 bis 5 eines Würfels für Tötung oder Freilassung gelten sollen, wobei die Seite 6 für die jeweils alternative Möglichkeit gilt. Beide Möglichkeiten müssen also durch den Wurf möglich sein. Folgt man der herrschenden Wahrscheinlichkeitstheorie, so ist diese Wahl völlig willkürlich; offenbar erscheint es dem Unbefangenen jedoch vernünftig, daß die Seiten 1 bis 5 für Freilassung bestimmt werden. Die Wahrscheinlichkeitstheorie kennt in diesem Zusammenhang kein rationales Handeln. Wir sind der Meinung - wie viele Werttheoretiker -, daß hier die Wahrscheinlichkeitstheorie eine Lücke hat.


2. Unglücklicherweise wird der obige Fall dauernd mit dem verwechselt, in dem überhaupt keine naturgesetzlichen Abhängigkeiten vorliegen oder doch zumindest nicht bekannt sind. Der Unterschied sei an einem Beispiel verdeutlicht: Würfelt man mit einem idealen Würfel eine genügend lange Serie, so wird man empirisch feststellen können, daß die einzelnen Zahlen gleich häufig auftreten. Das ist keine tautologische Aussage, da die Idealität des Würfels durch unabhängige Kriterien bestimmt werden kann (Messung, Schwerpunktuntersuchung usw.). Bringt man jedoch eine genügend große Anzahl von Menschen in eine bestimmte Situation und stellt gewisse Reaktionshäufigkeiten fest, so kann daraus nicht gefolgert werden, daß an irgendeiner anderen Raum - Zeit - Stelle diese oder andere Menschen im selben Verhältnis reagieren, wenn das Experiment wiederholt wird. Während der erste Fall determiniert, wenn auch nur statistisch determiniert ist, ist im zweiten auch bei Kenntnis aller Fakten eine sichere Voraussage nicht möglich. Die Anwendung der Wahrscheinlichkeitstheorie erscheint deshalb hier weit problematischer. Auch im sozialen Leben bestehen durch die menschliche Konstitution, dem sozialen Habitus und die Interessenlagen gewisse Regelmäßigkeiten. Wir halten es deshalb für gerechtfertigt, auch dann, wenn die Zukunft indeterminiert oder die Determination nicht bekannt ist, gewisse Hypothesen in bezug auf zukünftige Ereignisse als wahrscheinlich oder unwahrscheinlich zu bezeichnen. Daraus folgt, daß auch in diesen Fällen eine Darstellung der Erfolge mit Hilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung sinnvoll ist. Wird diese Möglichkeit bestritten, so folgt daraus, daß im sozialen Bereich weder Bewertung noch rationales Handeln möglich wäre.


Grundsätzlich besteht kein Unterschied zwischen Abläufen, die nicht determiniert sind und solchen, deren Gesetzmäßigkeiten nicht oder nicht genau bekannt sind. So besteht zwar Grund zu der Annahme, daß die Veränderung des Wetters sich nach Naturgesetzen richtet, da aber die Einflußfaktoren nicht genau bekannt sind, entspricht die Wettervorhersage der Prognose im Bereich der menschlichen Gesellschaft.


Die Wettervorschau wurde von Phänomen her entwickelt - so z.B. führen bestimmte Wolkenbildungen meist zu Regen. Die in der Vergangenheit gewonnene Erfahrung wird extrapoliert. Dieses Verfahren, das auch die am häufigsten angewandte Methode unter Indeterminiertheit ist, wird lerntheoretische Prognose genannt; es arbeitet mit Erfahrungen.


In bezug auf die Verhaltensvoraussage beim Menschen oder bei Gruppen bietet sich eine weitere Möglichkeit: Fast jede menschliche Handlung (Affekte und Leidenschaften ausgeschlossen) ist zielgerichtet. Wenn Ziele und Möglichkeiten bekannt sind, so kann durchaus auf die mutmaßliche Handlungsweise geschlossen werden. Man hat hier von spieltheoretischer Prognose gesprochen, allein die Spieltheorie ist nur ein Fall dieser Vorschau. Die Methode ist auch dann anwendbar, wenn eine Spielsituation nicht vorliegt. Im Gegensatz zur Lernprognose benötigt sie Informationen über Motive und Aktionsparameter der Individuen. Außerdem muß sie rationales Verhalten - immer im Sinne einer Zweck-Mittel-Entsprechung - unterstellen. Die spieltheoretische Vorhersage ist nur ein Unterfall der Methode, die man besser als finale Prognose bezeichnen würde. Neuerdings wird versucht, finale und Lernprognose zu vereinen; dadurch hofft man auch bei Informatinslücken die grundsätzlich überlegene finale Vorschau verwenden zu können - wie auch die Unterstellung rationalen Verhaltens dann modifiziert werden kann, wenn die Abweichung davon sich durch irgendwelche Konstanz auszeichnet (soziale Konventionen, traditionales Verhalten).


Sobald die Zukunft in der Weise indeterminiert ist, daß das prognostizierende Subjekt keine Vorstellung über die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese bilden kann oder gar die Art möglicher zukünftiger Ereignisse unbekannt ist (z.B. zukünftige Erfindung), so kann es keine Entscheidungstheorie mehr geben. Mit anderen Worten: Rationales Verhalten ist nur möglich, wenn Prognose möglich ist.


3. Entscheidungsfeld und Kalkulationsbasis


Eine arme alte Witwe und ein Millionär spenden je 2 DM für die Armen. Beider Ziel ist es, die Anerkennung ihrer Mitmenschen zu erringen; beide haben dasselbe getan, sie haben den Armen im gleichen Umfange geholfen. Dennoch ist der Erfolg ihrer Handlungen unterschiedlich. Während die Witwe wahrscheinlich ihr Ziel erreicht, erzielt der Millionär den gegenteiligen Erfolg.


Wenn zwei das gleiche tun, so ist es objektiv das gleiche, der Erfolg und damit der Wert (im selben Wertsystem) unterscheiden sich jedoch. Dasselbe gilt für den Wert eines Gegenstandes. A habe einen Werkzeugkasten, jedoch keine Säge. Während dem B die Säge nur zum Zerkleinern von Holz dienen kann, wird A durch den Erwerb der Säge in die Lage versetzt, ganze Gegenstände herzustellen. Dadurch, daß A seinem vorhandenen Satz ein neues Werkzeug zufügt, entsteht ihm also viel größerer Nutzen als dem B.


Die Handlungsmöglichkeiten des A und B unterscheiden sich; wir nennen die Gesamtheit der Alternativen das Entscheidungsfeld eines Individuums (oder seinen Freiheitsgrad). Das Entscheidungsfeld wird nicht nur durch Zahl und Art der bereits vorhandenen Gegenstände, sondern auch durch Vorschriften des Rechts, der Sittlichkeit und durch persönliche Fähigkeiten begrenzt. So haben zwei Unternehmer, deren einer unter Kartellierungsverbot steht, verschiedene Entscheidungsfelder, ebenso hat eine Schreibmaschine für den geübten und den ungeübten Schreiber unterschiedlichen Wert.


Ein Wertkalkül oder genauer eine Erfolgsprognose erfordert die Angabe des geltenden Entscheidungsfeldes. Im Kalkül wird dasjenige Entscheidungsfeld, von dem ausgegangen wird, Kalkulationsbasis genannt. Sein Wert wird mit Null angesetzt, so daß der Wert eines Gegenstandes in der Wertänderung des Entscheidungsfeldes besteht.


Es ist nützlich, Kalkulationsbasis und Entscheidungsfeld begrifflich zu trennen. In einem Teil der Fälle wird dem Kalkül ein hypothetisches Feld zugrunde gelegt. Eine Maschinenfabrik, die eine neue Apparatur entwickelt, wird z.B. Investitionsrechnungen anstellen, um den Wert der Anlage für potentielle Kunden festzustellen; dabei geht sie also von fremden oder hypothetischen Entscheidungsfeldern aus. Ebenso, wenn der gesuchte Wert nicht direkt (d.h. beim Bewertenden) eine Entscheidung herbeiführen soll, sondern zur Übermittlung von Nachrichten verwandt wird. In diesem Fall muss es eine Standardbasis geben, weil der Nachrichtenempfänger im allgemeinen das aktuelle Entscheidungsfeld nicht kennt, so daß die Wertziffer für ihn keine Aussage enthielte. Durch Einführung der Kalkulationsbasis gelingt es, den Wert von der bewertenden Person zu trennen. Durch Zielfunktion, Gesetz und Entscheidungsfeld wird der Wert jedes Gegenstandes oder jeder Handlungsweise bestimmt.


4. Die Wertung


In den Entscheidungen des Alltagslebens und einem Großteil des betriebswirtschaftlichen Bereichs ist die Wertung, d.h. die Verbindung von Erfolg und Zielsetzung, so einfach, daß sie meist nicht als Teil des Entscheidungsprozesses empfunden wird. Soll ein Arzt eine Medizin wählen und kennt er die Erfolge, so lassen sich diese unmittelbar vergleichen; der Wertungsvorgang tritt gar nicht in sein Bewußtsein. Eine eigene Wertungslehre wird erst dort notwendig, wo sich die Erfolge nicht mehr unmittelbar vergleichen lassen. 


Gleichzeitig ist es möglich, daß mehrere Ziele angestrebt werden. Gibt es nun Handlungsweisen, die mehrere dieser Zielsetzungen berühren, so muß die Entscheidung mit Hilfe einer weiteren Wertung über die Bedeutung der Ziele selbst herbeigeführt werden.


Die Voraussetzungen für eine eigene Wertungslehre liegen normalerweise bei Entscheidungsproblemen nicht vor. Erst dann, wenn entweder mehrere Ziele gegeben sind oder die Erfolge sich in ihrer zeitlichen Verteilung oder in ihrer Art unterscheiden, wird die Wertung selbst problematisch.


(Engels, Wolfram: Betriebswirtschaftliche Bewertungslehre im Licht der Entscheidungstheorie, Beiträge zur betriebswirtschaftlichen Forschung, herausgegeben von GUTENBERG / HASENACK / HAX / SCHÄFER, Band 18, Köln und Opladen 1962, S. 11-19)


Diese gerundive Werttheorie ist ein Schlüssel für das Verständnis der Relevanz der funktionalen Unternehmensbewertung, die als am besten geeignete Unternehmensbewertung im 21. Jahrhundert gelten kann. Die funktionale Unternehmensbewertung ist zweckbezogen und ermöglicht eine individualisierte Ermittlung des Unternehmenswerts. Genau das können die finanzierungstheoretischen Verfahren zur Unternehmensbewertung (DCF - Verfahren) nicht leisten!


Das individuelle Entscheidungsfeld in der investitionstheoretischen Unternehmensbewertung

Der oberste Grundsatz funktionaler Unternehmensbewertung




 

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