Donnerstag, 5. August 2010

Erbschaftsteuerreform und Unternehmensbewertung



Michael OLBRICH, Direktor des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes, hat am 18. Juni 2010 gemeinsam mit Christoph HARES und Alexander PAULY einen wegweisenden Aufsatz zur

Erbschaftsteuerreform und Unternehmensbewertung

(DStR 24 / 2010, S. 1250-1256)
veröffentlicht.

Zu den Hintergründen der Erbschaftsteuerreform:

Jahrzehntelang wurden Betriebsvermögen im Regelfall deutlich geringer bewertet, als es ihrem Verkehrswert entsprach, während Finanzanlagen mit ihrem Kurs- oder Nominalwert in die Bemessungsgrundlage eingingen. Das Bundesverfassungsgericht hatte dies mit seinem Beschluss vom 7. November 2006 für verfassungswidrig erklärt und eine Neuregelung bis Ende 2008 vorgeschrieben. Die neuen Regelungen der Erbschaft- und Schenkungsteuer sind seit 1. Januar 2009 wirksam.


Welche wesentlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen waren an das neue Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht  zu stellen? Im Steuerrecht ist die Verteilungsgerechtigkeit oberstes Ziel. Dieses Gebot der Gerechtigkeit entspringt der Moralphilosophie. Die Unterscheidung zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Austauschgerechtigkeit wird auf ARISTOTELES zurückgeführt (Tipke: StuW 2007, S. 201, 203).  Verteilungsgerechtigkeit ist aber zunächst eine Leerformel und bedarf deshalb eines Maßstabs. 

Bei der Umsetzung der Verteilungsgerechtigkeit ist der allgemeine Gleichheitssatz maßgebend, wonach wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Für das Steuerrecht bedeutet dies, dass die Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen auszurichten ist.  


Das Prinzip der Leistungsfähigkeit wird im Steuerrecht als ein sachgerechter Vergleichsmaßstab für den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt. Dieses Leistungsfähigkeitsprinzip geht auf Art. 134 der Weimarer Verfassung (WRV) zurück, der besagt, dass alle Bürger ohne Unterschied im Verhältnis ihrer Mittel zu allen öffentlichen Lasten nach Maßgabe der Gesetze beitragen. 


Im Kontext der Bewertung eines ererbten Unternehmens ist es wichtig, zu verstehen, dass die Erbschaftsteuer eine Erbanfallsteuer ist, die nicht den Nachlass als solchen besteuert, sondern die individuelle Bereicherung des Erbempfängers. Es erfolgt also keine Besteuerung der Substanz, die dem Nachlass des Erblassers entspricht, sondern eine Besteuerung des Einkommens des Erben (Birnbaum: Leistungsfähigkeitsprinzip und ErbStG, 2007, S. 37 / Tipke: Die Steuerrechtsordnung II, 2000, S. 872 / Seer: StuW, 2005, S. 353, 357).


Die Erbschaftsteuer wird durch die anfallende Bereicherung, die eine Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach sich zieht, gerechtfertigt, knüpft an das Leistungsfähigkeitsprinzip an und wird dadurch der Leitlinie gerecht, die sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergibt.



OLBRICH et. al. weisen den steuer- und wirtschaftsberatenden Berufen den  rechten Weg, um nach der zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Erbschaftsteuerreform den Verkehrswert von Unternehmen mit betriebswirtschaftlichen Methoden zu ermitteln. Die von den Autoren für nicht börsennotierte Gesellschaften vorgeschlagene Anwendung der Entscheidungsfunktion der funktionalen Bewertungstheorie ist deshalb als der rechte Weg zu bezeichnen, weil sie das vom Gesetzgeber nolens volens erzeugte Spannungsfeld zwischen den Erfordernissen, dem Unternehmen einen "gemeinen Wert" beizulegen und die "Einzelfallgerechtigkeit der Besteuerung" zu bewahren, gut auflösen. Dabei konkretisieren sie den allgemeinen Begriff der "Einzelfallgerechtigkeit" durch die Maßgabe der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen.

Der Aufsatz besteht aus zwei Hauptteilen.


Teil 1: Ermittlung einer Bemessungsgrundlage für die Schenkungs- und Erbschaftsteuer aus Sicht der funktionalen Bewertungstheorie

OLBRICH et. al. schlagen  aus guten Gründen eine individualisierte Form der Unternehmensbewertung vor, während andere Autoren - wie selbstverständlich  - mit dem Anspruch der Objektivierung des Unternehmenswerts die Anwendung einer marktwertorientierten Unternehmensbewertung (DCF - Verfahren) unterstellen, bei der Wert und Preis eines Unternehmens entgegen jeder Erfahrung kurzerhand in Übereinstimmung gebracht werden,  beispielsweise


Die Befürworter einer marktwertorientierten Unternehmensbewertung stützen sich vermutlich darauf, dass nach der Erbschaftsteuerreform dem zu bewertenden Unternehmen der "gemeine Wert" beizulegen ist. 

Nach der Legaldefinition des § 9 Abs. 2 BewG

wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt,  der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen. Ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse sind nicht zu berücksichtigen.


Als solche persönlichen Verhältnisse führt § 9 Abs. 3 BewG Verfügungsbeschränkungen, insbesondere aufgrund letzwilliger Anordnungen, an. 


Diese Legaldefinition des gemeinen Werts erzeugt  als vom Gesetzgeber verlangter Maßstab einer  korrekten betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung erhebliche Widersprüche und andere Probleme:


  • Der Gesetzgeber lässt sich von der Annahme leiten, dass der Wert eines Unternehmens und der dafür zu zahlende Preis in der Regel übereinstimmen. In der Praxis trifft dies jedoch fast nie zu. Der berühmte Investor Warren Buffet hat dieses Phänomen einmal mit dem Ausspruch umschrieben: Price is what you pay, value is what you get.  Die in der Mergers- & Acquisitionsbranche bekannten Begriffe "Lucky Buy" bzw. "Bad Buy" zeugen ebenso von der Tatsache, dass  Wert und Preis eines Unternehmens streng auseinander zu halten sind.

  • Ein zu bewertendes Unternehmen ist ein "nicht - marktgängiges" Wirtschaftsgut. Da Unternehmen einmalige, in höchstem Maße heterogene Güter sind, werden sie nicht in der Weise gehandelt, dass es einen breiten "Unternehmensmarkt" gäbe. Die Marktform für die Preisbildung beim Verkauf eines Unternehmens ist in aller Regel die des bilateralen Monopols oder des Monopols - Oligopsons, bei denen der Preis indeterminiert ist. In einer derartigen Situation kann als Wert des Unternehmens nicht der "Marktpreis" als Maßstab herangezogen werden, vielmehr muss der Unternehmenswert durch einen besonderen Kalkül berechnet werden.
Die Reformer der Erbschaft- und Schenkungsteuer mussten trotzdem nolens volens einen "gemeinen Wert" verlangen, weil diese Orientierung vom Bundesverfassungsgericht vorgegeben worden ist.


Außerdem darf nicht außer acht gelassen werden, dass die Besteuerung eines Steuerpflichtigen, der ein Unternehmen geerbt hat, ein höchst individueller Vorgang ist, bei dem die so genannte "Einzelfallgerechtigkeit" zu wahren ist. Es liegt auf der Hand, dass der Gesetzgeber gar nicht dazu in der Lage sein kann, diese Einzelfallgerechtigkeit selbst herzustellen, sondern auf eine "billige" Auslegung des "Rechts" durch den Anwender angewiesen ist. Das war bereits ARISTOTELES klar, als er schrieb:

Recht und Billigkeit sind im Grund das Gleiche, und obwohl beide vortrefflich und gut sind, ist doch die Billigkeit das Bessere. Das Problem rührt nur daher, dass die Billigkeit zwar ein Recht ist, aber nicht im Sinne des gesetzten Rechts, sondern als eine Korrektur desselben. Das hat darin seinen Grund, dass jedes Gesetz allgemein gehalten ist und in mancher Hinsicht treffende Bestimmungen durch ein allgemeines Gesetz sich nicht geben lassen. Wo nun eine allgemeine Bestimmung zu treffen ist, ohne dass sie völlig richtig sein kann, da zielt das Gesetz auf die Mehrheit der Fälle, ohne sich über den Mangel dieses Verfahrens im unklaren zu sein. Dennoch ist dieses Verfahren richtig. Denn der Fehler liegt weder am Gesetz noch am Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Wenn nun das Gesetz eine allgemeine Bestimmung trifft und in diesem Umkreis ein Fall vorkommt, der durch die allgemeine Bestimmung nicht erfasst wird, so ist es ganz in Ordnung, an der Stelle, wo uns der Gesetzgeber im Stiche lässt und durch seine vereinfachende Bestimmung einen Fehler verursacht hat, das Versäumnis im Sinne des Gesetzgebers selbst zu berichtigen: So wie er selbst die Bestimmung getroffen hätte, wenn er im Lande gewesen wäre und wie er sie, wenn ihm der Fall bewusst geworden wäre, in sein Gesetz aufgenommen hätte.

(Aristoteles: Nikomachische Ethik, V. 14 = 1137b).

Die Billigkeit ist ein die Gerechtigkeit präzisierender Gedanke; sie ist das notwendige Tor zur Interpretation, zur Zumutbarkeit, zu richterlichem Ermessen und zu allen anderen juristischen Mitteln, die sich um Einzelfallgerechtigkeit, also um "jedem das Seine", bemühen. Daran hat sich seit ARISTOTELES nichts geändert.

Ein eindeutiger Fingerzeig des Gesetzgebers zur  billigen Auslegung des neuen Rechts der Erbschaft- und Schenkungsteuer ist in dem von OLBRICH et. al. in ihrem Aufsatz zitierten Wortlaut  des Bewertungsgesetzes zu sehen:

Wie bereits oben angeführt, verlangt § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG, bei der Bewertung des vererbten oder verschenkten Unternehmens "die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zu Grunde legen würde". Der Wortlaut der Vorschrift macht deutlich, dass der Gesetzgeber dabei eine Bewertung des Unternehmens im Sinne der Entscheidungsfunktion der funktionalen Bewertungstheorie anstrebt. 

...


(OLBRICH / HARES / PAULY, a.a.O., S. 1250, Abschnitt 2.1)

Der Schlussfolgerung von OLBRICH et. al., wonach die Entscheidungsfunktion der funktionalen Unternehmensbewertung anzuwenden ist, ist zuzustimmen, zumal in der funktionalen Bewertungslehre die Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen zu den explizit genannten Nebenfunktionen zählt (s. Kußmaul / Pfirmann / Hell / Meyering, in: BB 2008, S. 472, 474).


Die Frage nach der betriebswirtschaftlich richtigen Bewertungsmethode ist von großer Bedeutung. Durch die allgemeine Regelung des Wertmaßstabs im Bewertungsgesetz erlangt die Neuregelung auch für Bewertungsfälle in anderen Steuerarten fundamentale Bedeutung. Beispielsweise für Zwecke der Einkommensteuer im Fall der Einlage von Beteiligungen. 


Nach ihrer Festlegung auf die Entscheidungsfunktion der funktionalen Unternehmensbewertung gehen OLBRICH et. al. ausführlich auf den investitionstheoretischen Rahmen und erbschaftsbedingte Besonderheiten ein. In diesem Abschnitt widmen sich die Autoren der wichtigen Abschätzung der Zahlungsüberschüsse:


Im betrachteten Fall der Bewertung verschenkter bzw. vererbter Unternehmen ist bei der Abschätzung der Zahlungsüberschüsse zu beachten, dass diese von der spezifischen Position, die der Steuerpflichtige im Zuge der Schenkung / Vererbung einnimmt, abhängen. Im Folgenden werden daher die denkbaren Fälle seiner Position (die im Grunde Teil seines Entscheidungsfelds ist) unterschieden. Darauf aufbauend wird hergeleitet, welche Konsequenzen sie für die Bewertung haben. Die Ausführungen erfolgen am Beispiel vererbter GmbH - Anteile.
(OLBRICH / HARES / PAULY, a.a.O., S. 1251, Abschnitt 2.2)


Die von OLBRICH et. al. gemachten Ausführungen zur Abschätzung der Zahlungsüberschüsse sind nicht nur wegen der erbschaftsbedingten Besonderheiten überaus wichtig, sondern auch,  weil sie die Bedeutung einer sorgfältigen Planung von Zahlungsüberschüssen für das Bewertungsresultat ins Bewußtsein des Lesers heben.



Teil 2: Steuerpraktische Konsequenzen einer betriebswirtschaftlichen Wertfindung

Im alten Erbschaftsteuerrecht war das Betriebsvermögen die Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer. Es wurde auf Basis einer Steuerbilanz ermittelt, die dem Finanzamt vorzulegen war.


Im neuen Recht dient der Unternemenswert als Bemessungsgrundlage, der durch den Entscheidungswert der funktionalen Unternehmensbewertung dargestellt wird. Der Steuerpflichtige ist jedoch nicht dazu gezwungen, dem Finanzamt den tatsächlichen Entscheidungswert mitzuteilen.

Diese neue Hermetik gegenüber den Finanzbehörden erlaubt  es dem Steuerpflichtigen,  einen "Argumentationswert" zu kommunizieren, der selbstverständlich unterhalb des tatsächlichen Entscheidungswerts liegt.

Exkurs Argumentationswert:

Der Argumentationswert ist das Ergebnis einer Unternehmensbewertung im Sinne der Argumentationsfunktion. Er ist ein Instrument zur Beeinflussung des Verhandlungspartners, um für den Argumentierenden eine möglichst günstige Konfliktlösung zu erzielen. Der Argumentationswert ist ein parteiischer Wert und läßt sich ohne Kenntnis des eigenen Entscheidungswertes und ohne Vermutungen über den gegnerischen Entscheidungswert nicht sinnvoll bestimmen. Denn erst die relevanten Entscheidungswerte ermöglichen einer Partei eine Aussage, welche Verhandlungsresultate mit rationaler Handlungsweise vereinbar und mittels eines sinnvollen Argumentationswertes anzustreben sind.

(Matschke, Manfred Jürgen / Brösel, Gerrit: Grundzüge der funktionalen Unternehmensbewertung, in: Diskussionspapier 03/2008, ERNST-MORITZ-ARNDT-UNIVERSITÄT GREIFSWALD, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, S. 14)



OLBRICH et. al.:

Mit Hilfe derartiger Wertgrößen versucht der Erbe, sich argumentative Vorteile in der Auseinandersetzung zu schaffen. Zielsetzung des Steuerpflichtigen ist es dabei, sich schlussendlich mit dem Fiskus auf einen Arbitriumwert - im Sinne eines Kompromisses - zu einigen, der möglichst niedrig und kleiner als sein Entscheidungswert ist, um so die Bemessungsgrundlage und damit die Höhe der Steuer möglichst gering zu halten.

(OLBRICH / HARES / PAULY, a.a.O., S. 1252, Abschnitt 3.1)
 
Dabei profitiert der Steuerpflichtige davon, dass der Arbitriumwert, ebenso wie der Argumentationswert und der Entscheidungswert zur funktionalen Unternehmensbewertung gehört. Der Bewerter bewegt sich als Berater des Steuerpflichtigen also bei jedem seiner Schritte innerhalb des selben Theoriegebäudes.
 
Exkurs Arbitriumwert:

Der Arbitriumwert ist hingegen das Ergebnis der Unternehmensbewertung im Rahmen der Vermittlungsfunktion und soll eine Einigung zwischen den Konfliktparteien über die Bedingungen der Eigentumsänderung des zu bewertenden Unternehmens erleichtern oder bewirken. Er ist ein vom unparteiischen Gutachter vorgeschlagener Wert, auf dessen Basis der Gutachter als Vermittler eine Konfliktlösung für möglich hält. Der Arbitriumwert ist als ein Kompromiß aufzufassen, der für die beteiligten Parteien zumutbar ist, weil er die Entscheidungswerte der beteiligten Konfliktparteien nicht verletzt, und der ihre Interessen angemessen wahrt.

(Matschke, Manfred Jürgen / Brösel, Gerrit: a.a.O., S. 14)


Trotz Hinwendung des Steuerrechts zu einer betriebswirtschaftlichen Bewertung ist im steuerlichen Massenverfahren die Anwendung von Typisierungen geboten. OLBRICH et. al. diskutieren die Typisierungen des "vereinfachten Ertragswertverfahrens" und die Typisierungen der "Discounted Cash Flow" - Verfahren im Spannungsfeld zwischen Praktikabilität und Leistungsfähigkeitsprinzip. 

Abschließend gehen die Autoren auf Literaturmeinungen ein, die zur Lösung des Bewertungsproblems für eine weitgehend freie Verfahrenswahl durch den Steuerpflichtigen plädieren. 


OLBRICH / HARES / PAULY fassen ihren Aufsatz "Erbschaftsteuerreform und Unternehmensbewertung" thesenförmig zusammen:

  1. Der in § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG vom Gesetzgeber gewünschte und dem Leistungsfähigkeitsprinzip genügende Wert zur Bestimmung der steuerlichen Bemessungsgrundlage ist der individuelle Entscheidungswert des Steuerpflichtigen. Er wird mit investitionstheoretischen Bewertungsmodellen, im Regelfall dem Zukunftserfolgswertverfahren, ermittelt. Die Abschätzung der Zahlungsüberschüsse muss dabei stets unter Beachtung der mit der Schenkung / Vererbung entstandenen individuellen Eigentümerstellung des Steuerpflichtigen erfolgen. Bei der Frage, ob dem Zukunftserfolgswertverfahren die Erfolge aus der Fortführung oder der Liquidation zugrundezulegen sind, muss die Wahl auf die ökonomisch vorteilhaftere Alternative fallen. Dies gilt auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige aus außerökonomischen Gründen de facto gegen die ökonomisch vorteilhaftere Lösung entscheidet.

  2. Problematisch ist aus steuerpraktischer Sicht, dass der Steuerpflichtige dem Fiskus seinen Entscheidungswert nicht offenlegen, sondern ihm einen niedrigeren Argumentationswert als vermeintlichen Entscheidungswert kommunizieren wird. Es könnte dann zu einer zeit- und kostenintensiven Aufgabe der Finanzverwaltung und Finanzgerichtsbarkeit werden, derartige Argumentationswerte auf ihren ökonomischen Gehalt hin zu überprüfen. Insbesondere die Beurteilung der Überschussprognose, die der Steuerpflichtige der Unternehmensbewertung zugrundelegt, würde Behörden und Rechtsprechung dabei vor große Herausforderungen stellen.

  3. Auch die neue, betriebswirtschaftlich orientierte Bewertungsmethodik im Schenkungs- und Erbschaftsteuerrecht bedarf daher aus Praktikabilitätsgründen einer Typisierung. Von Seiten des Gesetzgebers wurde hierfür das "verinfachte Ertragswertverfahren" entworfen, von Seiten des Schrifttums wurden auch DCF - Methoden angeführt.

  4. Das vereinfachte Ertragswertverfahren gibt klare Bewertungsparameter vor und erhöht die praktische Umsetzbarkeit der Bewertung damit beträchtlich. Von Vorteil ist, dass es sich dabei um ein optionales, kein verpflichtendes Verfahren handelt. Sollte der aufgrund des vereinfachten Verfahrens ermittelte Unternehmenswert geringer als sein Entscheidungswert sein, wird der Steuerpflichtige das Rechenergebnis akzeptieren; sollte das Entscheidungswertkriterium verletzt werden, wird er hingegen auf einem stärkeren Subjektbezug der Bewertungsparameter bestehen.

  5. Die verbesserte Plausibilität aufgrund des vereinfachten Ertragswertverfahrens geht mit einer Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzips einher, wobei diese Verletzung stets zugunsten des Steuerpflichtigen ausfällt. Aufgrund der vom BVerfG konstatierten besonderen Schutzwürdigkeit des Steuerpflichtigen gegenüber dem Staat ist diese Verletzung jedoch nicht zu beanstanden.

  6. Die in Teilen des Schrifttums alternativ vorgeschlagene Typisierung auf Basis kapitalmarkttheoretischer DCF - Verfahren räumen große Bewertungsspielräume ein und stellen bloße "Scheintypisierungen" dar. Eine Anwendbarkeit der DCF - Methoden würde die Zahl möglicher Argumentationswerte folglich vergrößern, nicht reduzieren. Aus Sicht des Fiskus ist sie daher zu verneinen, aus Sicht des Steuerpflichtigen zu begrüßen.

  7. Auch die in der Gesetzesbegründung und Teilen der Literatur befürwortete Anwendbarkeit einer Vielfalt unterschiedlicher Bewertungsmethoden ist differenziert zu beurteilen. Sie ist - abgesehen von dem Spektrum investitionstheoretischer Verfahren (Partial-, Totalmodell) - vom Wortlaut des BewG strenggenommen nicht gedeckt, erhöht die Zahl der Bewertungsspielräume und der damit verbundenen Argumentationswerte des Steuerpflichtigen und ist aus Sicht des Fiskus daher ungeeignet. Aus Sicht des Erben bzw. Beschenkten stellt sie naturgemäß aufgrund eben dieser Spielräume hingegen die attraktivste aller Lösungen des steuerlichen Bewertungsproblems dar.

(OLBRICH / HARES / PAULY, a.a.O., S. 1251, Abschnitt 2.2)


Es ist zu hoffen, dass dieser bemerkenswerte Aufsatz von OLBRICH / HARES / PAULY  ein  lebhaftes Echo im Schrifttum der Betriebswirtschaft auslöst.




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