Freitag, 12. August 2011

Mit Psychologie durch die Finanzkrise



Den Homo Oeconomicus hat es nie gegeben! Wirtschaftswissenschaftler, die sich auf seine Existenz verlassen haben, sind mit ihrem Latein am Ende, wenn sie die Börsenverläufe der letzten Tage erklären sollen. Weder ein irrationaler Herdentrieb noch rational agierende elektronische Handelssysteme taugen als Erklärungsansätze, denn Computer haben keinen Herdentrieb.

Soziologen kommen mit ihren Ansätzen dem Problem schon näher. Rena SCHWARTING:

Das Mehr der Staatsschulden ist seit Monaten bekannt. Selbst die Herabstufung der Bonitätsbewertung der USA seitens Standard & Poor’s sollte zumindest weder für Politiker noch für institutionelle Anleger eine allzu große Überraschung sein – hatten die Agenturen doch in der Vergangenheit zu oft eine just in time Anpassung versäumt. Die Talfahrt scheint vor diesem Hintergrund weniger eine allgemeine Verunsicherung als eine Selbstverunsicherung gewesen zu sein. Den Kurskorrekturen ging eine Kumulation von Erwartungskorrekturen voraus, die soziologisch weniger mit dem Verweis auf politisch verstörte Einzelmeldungen als mit sozialen Mechanismen wechselseitiger Situationsdefinitionen erklärt werden können. 

(Aus-)Tausch von Erwartungserwartungen 

Wenn auf dem Parkett und an den Telefonen der Händler die Orders eingehen, Preise für Finanztitel verhandelt und daran geknüpfte Zahlungsversprechen getauscht werden, kann dies noch so turbulent und chaotisch erfolgen, es stabilisiert damit zugleich eine dynamische Sozialordnung. Diese Ordnung beruht auf wechselseitigen Verhaltenserwartungen zwischen Marktteilnehmern, die bei unterschiedlichen Zeit- und Preisdifferenzen die Wahl zwischen Kauf- und Verkaufsoptionen haben. Käufer und Verkäufer seien beispielsweise die Personen A und B: A erwartet, dass B erwartet, dass A zu jenem Kurs kauft und B erwartet umgekehrt, dass A erwartet, dass B zu jenem Kurs verkauft. Nach diesem Schema beobachten und orientieren sich Marktteilnehmer wechselseitig. Der eine erwartet, was der andere tut, während der andere erwartet, was der eine tut. Nicht erfüllte (Kauf-)Erwartungen können deshalb nicht selten zu Enttäuschungen führen. Im Gegensatz zu Produktmärkten können auf Kapitalmärkten Kauf- und Verkaufsrollen auch von derselben Person eingenommen werden („switch-role markets“). Dies ändert wenig an der allgemeinen Verhaltensausrichtung von Erwartungen, jedoch dynamisiert es die Sozialordnung von Märkten ungemein.

Selbstverunsicherung durch kumulative (Erwartungs)effekte
Die Erwartungen, an denen die Marktteilnehmer ihre Entscheidungen ausrichten, sind immer auch anders möglich. Sie orientieren sich an vergangenen Entscheidungen und unterschiedlichen Prognosen über ihr Kaufverhalten. Im Gegensatz zu gemachten Zahlungen können modellierte Zukunftsaussichten jedoch wieder geändert und revidiert werden. Prognosebasierte, erwartungsgesteuerte Entscheidungen sind daher auch der Selbstverunsicherung ausgesetzt. Sie müssen mitrechnen, dass sie im nächsten Moment bereits vergangen sind und damit den Folgen einer veränderten Bewertung seitens der Marktteilnehmer unterliegen. Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt to kauft, kann zu einem Zeitpunkt t1 wieder verkaufen. Wer auf steigende Kurse setzte, kann Sekunden später auf fallende setzten und umgekehrt.(Quelle: www.sozialtheoristen.de)

Nun wollen auch die Psychologen nicht länger schweigen. Uwe Jean Heuser schreibt in seinem klugen Artikel auf ZEIT ONLINE:

Krisenpsychologie: Cool durch die Krise

Bankencrash, Schuldenangst, Börsenchaos: Können wir lernen, mit der Gefahr zu leben?
Die Börse spinnt, oder? Erst ignoriert sie monatelang die Gefahren, die sichtbar wie Gewitterwolken über der Weltwirtschaft schweben. Dann, auf einmal, sehen die Anleger nichts anderes mehr – und mithin rot. Seither kracht es fast täglich an den Finanzmärkten rund um den Planeten, und mit jedem Krachen wird das wahrscheinlicher, was neuerdings alle fürchten: Der Westen kann nicht mehr, und seine Wirtschaft fällt in eine tiefe Depression.

Die Börse spinnt? Verhaltensforscher deuten die Ereignisse so: Menschen können sich höchstens auf eine Gefahr konzentrieren und blenden andere aus – um dann mehr oder weniger schockartig den Blick zu wenden. Der Yale-Ökonom Robert Shiller hat die Finanzkrise vorausgesagt, und er erklärt, warum sie erst so lange ausblieb und dann plötzlich mit aller Wucht über die Welt kam. Anleger entscheiden seiner Erfahrung nach, ohne alle Eventualitäten zu durchdenken. Ein Blickwinkel reicht ihnen. (Artikel)




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